Schicksalsnacht vor 30 Jahren – der Hofburgbrand 1992

Bibliothek

17.10.2022
Geschichte in Geschichten
Verkohlte Trümmer nach einem Hausbrand

In der Nacht vom 26. auf den 27. November 1992 stand der rechte Trakt der Wiener Hofburg am Josefsplatz in Vollbrand. Der große Redoutensaal wurde völlig zerstört. Die Flammen drohten auf andere Gebäudeteile überzugreifen – der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek war in höchster Gefahr! Zeitzeug*innen erinnern sich.

Autorin: Elisabeth Briefer

Wissen Sie noch, was Sie im November vor 30 Jahren gemacht haben? Nein? Vielen von uns geht es so. Außer ein einschneidendes Ereignis hält die Erinnerung wach. Für manche Mitarbeiter*innen der größten Bibliothek des Landes war die Nacht des 27. Novembers 1992 solch eine denkwürdige Zeit - sie bangten um ihren geschichtsträchtigen Arbeitsplatz, der in Flammen aufzugehen drohte.

Wie erlebten sie diese Nacht und die darauffolgenden Tage? Noch gibt es Zeitzeug*innen, die seit damals im Dienste dieses ehrwürdigen Hauses stehen oder bereits in Pension sind, dennoch Kontakte zu ihrer ehemaligen Wirkungsstätte pflegen und darüber zu berichten wissen. Von ihren Erinnerungen erzählt dieser Blogbeitrag.

Chronologie der Ereignisse vom 27. November 1992:

  • 1:00 Uhr: Der Wachmann Peter Wadosch bemerkt bei seinem Rundgang Qualm und einen Feuerschein und schlägt Alarm. Annähernd zeitgleich alarmiert ein automatischer Brandmelder in einer Dolmetscherkabine in den Redoutensälen die Wiener Berufsfeuerwehr. Binnen drei Minuten ist diese vor Ort.
  • Gegen 2:30 Uhr: Das Dach der Redoutensäle steht in Vollbrand und stürzt ein. Es besteht die Gefahr, dass das Feuer auf andere Gebäudeteile übergreift.
  • 3:00 Uhr: Start der Evakuierung der Bewohner der Hofburg, der Lipizzaner und von rund 10.000 Büchern des Prunksaals durch Bildung einer Menschenkette.
  • 5:00 Uhr: Die auf einen Teil des Dachstuhls des Prunksaals übergegriffenen Flammen konnten gelöscht werden. Es bestand die akute Gefahr, dass das Feuer und/oder das Löschwasser die Fresken von Daniel Gran zerstören.
  • 6:00 Uhr: Das Inferno gilt als „unter Kontrolle“, endgültig „Brand aus“ konnte wegen schwelender Glutnester erst Stunden später gegeben werden.

Die Brandursache konnte nie restlos geklärt werden.

Auf der Website der Burghauptmannschaft Österreich ist die Brandkatastrophe, ihre Auswirkungen und Folgen, ebenfalls dokumentiert. In der ORF TVThek lässt sich sogar noch der Nachrichtenbeitrag vom 27. November 1992 finden.

Uns interessierte, wie die damaligen Mitarbeiter*innen der Österreichischen Nationalbibliothek diese Schreckensnacht erlebten. Sie haben um Österreichs Gedächtnisinstitution, die aber gleichzeitig auch für an die 350 Kolleg*innen Arbeitsplatz war, gebangt und teilweise bei den Aufräumungsarbeiten im Prunksaal mitgearbeitet.

Die Erinnerung lebt! Zeitzeug*innen erinnern sich

Wie präsent der Brand am Josefsplatz noch in den Köpfen der damals an der Bibliothek tätigen Personen ist, verblüfft. Die interviewten Damen und Herren können sich allesamt an jenen Aufruf im Radio erinnern, der in den frühen Morgenstunden über den Äther ging: „[…] alle männlichen Beschäftigten der „Österreichischen NationalBANK“ mögen in die Arbeit kommen. Die Hofburg brennt!“ Kurze Zeit darauf dann die – aus damaliger Sicht wenig witzige – Korrektur des Radiomoderators: die Belegschaft der Österreichischen NationalBIBLIOTHEK war gefordert!

Eine Kollegin, die seinerzeit im Sekretariat der Generaldirektion gearbeitet hat, wurde schon viel früher aus den Federn geworfen. Sie erzählt: „Ich wurde gegen 2 Uhr in der Nacht angerufen, weil bestimmte Schlüssel von einem Raum gesucht wurden, der von der Galerie im Prunksaal aus Richtung Redoutensäle führt. Nach Erteilung der Auskunft war an Schlaf nicht mehr zu denken! Was tun? In die Arbeit fahren? Dort eventuell nicht helfen können und nur sensationslüstern erscheinen? Ich war dann gegen 7 Uhr doch schon im Haus. Das Feuer war unter Kontrolle, doch das Bild, das sich mir bot, war verheerend: eine Heerschar an Feuerwehren, viel Rauch, Absperrungen, ein komplett zerstörter Gebäudetrakt der Hofburg und natürlich meine geschockten Kolleg*innen und Vorgesetzten - die damalige Generaldirektorin Dr. Magda Strebl (+2021) und Generaldirektor-Stellvertreter Dr. Helmut W. Lang. […]“

Die Medien berichteten bereits am nächsten Tag im Detail und zeigten u.a. Aufnahmen jener Menschenschlange, die Auszubildende der Polizei gebildet hatten, um Bücher aus dem Prunksaal zu evakuieren.

Auf die Bitte des damaligen Generaldirektor-Stellvertreters hin, hatte der Wiener Polizeipräsident Günther Bögl (+2020, siehe auch Abbildung Nr. 5, links oben mit Frau Generaldirektorin Strebl im Gespräch) die PolizeischülerInnen auf den Plan gerufen.

Hofrat Dr. Helmut W. Lang, bereits in wohlverdientem Ruhestand, erinnert sich: „Als ich in jener Nacht am Josefsplatz eintraf, waren überall Fahrzeuge der Wiener Berufsfeuerwehr, viele Schlauchleitungen und immer wieder trafen neue Freiwillige Feuerwehren aus der Wiener Umgebung ein.“

„Der Dachstuhl über dem Prunksaal stand auf einer Länge von zwölf Metern auf der Redoutensaalseite im Vollbrand. Es bestand die Gefahr, dass das Dach einstürzt, möglicherweise auch die Decke über dem Prunksaal. Ich bat den Branddirektor (Anm: Dipl. Ing. Dr. Friedrich Perner), zu veranlassen, dass das Löschwasser abgesaugt wird, damit es nicht die Decke über dem Prunksaal durchdringt. Nun war die Entscheidung zu treffen, ob die primär gefährdeten Bücherbestände auf der Galerie am hinteren Ende des Prunksaals zu evakuieren wären. Ich konnte den Wiener Polizeipräsident Günther Bögl erreichen und bat ihn um personelle Unterstützung bei der Evakuierung der Bücher. Innerhalb einer Stunde traf eine Hundertschaft von jungen Polizeischüler*innen ein, die eine Kette bildeten von den Regalen auf der Galerie über die Wendeltreppe durch den Prunksaal zur Hauptstiege in den Vortragssaal (Anm. heute `Van Swieten Saal').“

Hofrat Lang schildert weiter die Situation: „Gegen 5:00 Uhr teilte mir der Branddirektor mit, dass sich das Feuer am Dachstuhl über dem Prunksaal nicht weiter ausbreiten würde und das Löschwasser weitgehend abgepumpt wäre. Damit wurde die Evakuierung der Bücher gestoppt.

Es war eine unvergessliche Nacht. Unvergesslich, wie rotglühend Dachziegel vom Redoutensaal in weitem Bogen auf den Josefsplatz fielen. Je mehr Ziegel Platz für die Sauerstoffzufuhr ermöglichten, desto höher loderten die Flammen aus dem Redoutensaaldach!“.

Interessant ist die Aussage eines Kollegen, der 1992 im Magazin gearbeitet hatte: „Ich meine mich erinnern zu können, dass einer unserer Haustechniker nach diesem Vorfall eine besondere Belobigung erhalten hat. Herr Hans Siebensohn konnte in jener Nacht den Einsatzkräften den Weg über den Dachboden des Prunksaals zeigen, von wo aus tatsächlich der Brand des Dachstuhls vom Mitteltrakt dieses U-förmigen Gebäudes am effektivsten zu löschen war.“ Seine Erinnerung täuschte unseren Kollegen nicht, wie weitere Recherchen ergaben: besagter Techniker hat somit tatsächlich einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass der Prunksaal 1992 nicht Feuer fing!

Eine glückliche Fügung hat zusätzlich dazu beigetragen, dass die Feuerwehren rasch zum Einsatzort gelangen konnten: der Josefsplatz wurde kurz davor – genauer gesagt am 1. Juni 1992 - autofrei.

Ende gut, alles gut?

Ja, das kann man aus heutiger Sicht – und vor allem aus dem Blickwinkel der Österreichischen Nationalbibliothek – so sagen. Alle Gebäudeteile der Hofburg wurden sehr rasch wieder aufgebaut, teilweise alte Substanz restauriert, mit dem großen Redoutensaal (1997 wiedereröffnet) Neues geschaffen und unserer einzigartigen Barockbibliothek ist nicht viel passiert. Überzeugen Sie sich selbst bei einer 360-Grad-Online-Tour durch diesen fantastischen Bibliothekssaal.

Die Ereignisse im Jahr 1992 werden auch nachkommenden Generationen stets in Erinnerung bleiben.

Frau Generaldirektorin Dr. Johanna Rachinger hat es anlässlich der 650-Jahr-Feierlichkeiten in der Zeitung Die Zeit vom 25.01.2018, Nr. 5, Seite 11, bei einem Interview sehr treffend beschrieben: 

„[…] 26 Jahre ist es her, als gleich nebenan die Redoutensäle Feuer fingen. Damals sorgten sich die Österreicher nicht nur um die Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule. 240 Polizisten bildeten eine Kette, um 10 000 besonders kostbare Schriften ins Freie zu bringen. Obwohl die wenigsten Menschen in diese Bücher hineingelesen haben, haben sie sehr genau gespürt, dass sie etwas mit uns, mit unserer Geschichte zu tun haben‘, sagte Johanna Rachinger. Nach dem Großbrand habe sie ein Aufatmen beobachtet, das durch das Land ging: Allen war klar, wären die Bücher verloren gegangen, dann wäre auch ein Stück kulturelle Identität verloren gegangen.‘ […]“.

Besitzer*innen einer Benützungskarte können den vollständigen Artikel auch online in der Datenbank wiso Presse nachlesen.

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Über die Autorin: Elisabeth Briefer ist Mitarbeiterin der Abteilungen Informations- und Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement in der Hauptabteilung Benützung und Information und ebenfalls Zeitzeugin.

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